Kreuzbänder reissen bei Handballerinnen besonders oft – weshalb das so ist und Prävention nur bedingt möglich ist

Dem LC Brühl fehlen zum Auftakt in die Finalrunde verletzungsbedingt mit Dimitra Hess und Fabienne Tomasini zwei Stammspielerinnen – das hat auch anatomische Gründe. Am Samstag begann für die Handballerinnen des LC Brühl in der NLA die Finalrunde und damit die entscheidende Phase auf dem Weg zur Titelverteidigung. Die St.Gallerinnen gastieren bei Yellow Winterthur.

Tagblatt / Fritz Bischoff
Im Kader von Trainer Raphael Kramer fehlen mit Fabienne Tomasini und Dimitra Hess zwei wichtige Stammspielerinnen. Der Grund: Beide haben eine Kreuzbandverletzung im Knie erlitten und damit jene Verletzung, die bei Handballerinnen eine der häufigsten ist – gewissermassen der Risikofaktor Nummer 1. Dabei ist es nicht entscheidend, dass der Handball eine intensive und kampfbetonte Sportart mit Körperkontakt ist, denn 70 Prozent aller Kreuzbandverletzungen entstehen ohne Körperkontakt.

Drehbewegungen bei der Landung nach Sprüngen
Dies war auch bei den beiden Brühler Spielerinnen so. Fabienne Tomasini, die 26-jährige österreichische Internationale, holte sich ihre schon dritte Kreuzbandverletzung in einem Länderspiel im vergangenen Jahr gegen Brasilien. «Bei der Landung nach einem Sprungwurf bei einem Gegenstoss knickte mir das Knie weg. Das Kreuzband war gerissen», erinnert sie sich. Gleiches geschah bei Dimitra Hess im Spitzenspiel im Januar dieses Jahres gegen GC Amicitia Zürich. In der ersten Minute lief die 23-Jährige einen schnellen Gegenstoss. Unbehindert kam sie zum Torwurf. Bei der Landung knickte das Knie seitlich weg – ihr zweiter Kreuzbandriss innerhalb von nicht einmal zwei Jahren war Tatsache. Der Verletzungshergang der beiden St.Gallerinnen ist für einen Kreuzbandriss bezeichnend. Dies gilt nicht nur für den Handball, sondern ganz allgemein für den Ablauf einer Kreuzbandverletzung.

Fabienne Tomasini sagt, dass eine Kreuzbandverletzung an sich schon schlimm sei. «Besonders hart ist zusätzlich die Tatsache, dass der Heilungsverlauf ein sehr langwieriger ist und sich bis zu einem Jahr hinziehen kann. Diese langen Pausen sind physisch und psychisch kräftezehrend.»

Handballerinnen sind besonders gefährdet
Geht es um Kreuzbandverletzungen im Knie, so sind Handballer und Handballerinnen besonders gefährdet. Erhebungen der Suva aus den Jahren 2019 bis 2021 zeigen auf, dass im Verhältnis zu den Lizenzierten einer Teamsportart der Handball die höchste Wahrscheinlichkeit einer Kreuzbandverletzung für sich beanspruchen muss.

Jeder oder jede 100. hat schon einmal eine Kreuzbandverletzung erlitten. Nach dem Handball folgen Fussball (jede oder jeder 184.), Unihockey (283.) und Volleyball (442.). Einen grossen Unterschied gibt es auch zwischen den Geschlechtern. Frauen sind von einem Kreuzbandriss weit häufiger betroffen als Männer. «Studien zu Kreuzbandverletzungen im Fussball haben erbracht, dass Frauen von dieser Knieverletzung bis zu sechsmal häufiger betroffen sind als Männer. Die Werte im Handball dürften im ähnlichen Bereich sein», sagt der Sportmediziner Hanspeter Betschart. Als Teamarzt der Brühler Handballerinnen, Chefarzt der Berit Sport Clinic im appenzellischen Speicher und Chief Medical Officer von Swiss Olympic und damit verantwortlicher Arzt der Schweizer Delegation an den Olympischen Spielen 2024 in Paris und 2026 in Mailand, kennt er auch Gründe für die Diskrepanz zwischen Frauen und Männern.

«Frauen haben anatomisch andere Voraussetzungen als Männer. Frauen haben ein breiteres Becken und die Beinachse neigt zu X-Beinen. Auch der Hormonhaushalt im Zusammenhang mit dem Zyklus erhöht das Verletzungsrisiko. Weiter werden auch eine geringere Muskelmasse und ein anderes Sprung- und Landeverhalten als Gründe genannt.»

Nur bedingte Prävention möglich
Dieses Risiko kann nicht nur bei Frauen mit gezielter Prävention verkleinert werden. «Doch gänzlich ausschliessen lässt es sich nicht, auch wenn wir schon vor der Saison mit Checks und Leistungstests beginnen», sagt der St.Galler Arzt.

Beim LC Brühl werden Trainer und Staff auf allen Stufen zur Thematik der Prävention sensibilisiert. «Wir gehen nicht so weit, wie dies etwa in Norwegen der Fall ist, wo bestimmte Präventionsmassnahmen vorgeschrieben sind, doch konnten wir in der Vergangenheit die Zahl an Kreuzbandrissen deutlich reduzieren. Dies auch dank verbesserter Athletik der Spielerinnen», sagt Vroni Keller, die Nachwuchsverantwortliche des Vereins und Assistenztrainerin des Nationalteams.

Auch sie sagt, dass sich ein Kreuzbandriss nie ganz verhindern lasse, jedoch die Zusammenarbeit aller involvierten Personen wichtig sei. Eine besondere Aufgabe kommt dabei Viviane Burandt zu. Die 28-jährige Physiotherapeutin der Berit Sport Clinic, welche die Hälfte ihrer Zeit für den LC Brühl abgestellt ist, erklärt: «Mit den Spielerinnen des Fanionteams arbeite ich mindestens einmal pro Woche im präventiven Bereich. Wir betreiben einen gezielten muskulären Aufbau, damit insbesondere in den Knie durch Muskelkraft die Zug- und Drehbelastungen ausgeglichen werden können.» Auch an der Achsenstabilisation werde gearbeitet, wobei in diesem Bereich die Möglichkeiten kleiner seien als im muskulären Sektor.

Das Ziel aller Anstrengungen – nicht nur bei Handballerinnen – ist es, das Risiko der «Angstverletzung», wie Fabienne Tomasini den Kreuzbandriss nennt, einzuschränken.